Grenzgänger: Autobiografische Fragmente und der Versuch ihrer Zuordnung
Nein, „Grenzgänger“ ist kein Sachbuch, kein Ratgeber und auch keine Autobiografie im klassischen Sinn. Ja, es ist ein unter die Haut gehender, schonungslos ehrlicher, und bewusst fragmentarisch gehaltener, autobiografischer Bericht eines, in einer psychischen Erkrankung gestrandeten Menschen. Eckhard Neuhoff setzt sich in seinem Erstling auf eindrucksvolle Weise mit den Ursachen und Auswirkungen seiner inzwischen überwundenen psychischen Erkrankung auseinander und zeigt hierbei Wege auf, wie man auch in scheinbar hoffnungslosen Situationen etwas Gutes und Lehrreiches erkennen kann. In der Rückschau auf die dunkelsten Momente seines bewegten Lebens hat Neuhoff hier etwas entdeckt, das ihm bei seiner fortschreitenden Genesung sehr geholfen hat: tief empfundene Dankbarkeit für alles was war und für das, was ist. „Grenzgänger“ macht Mut, sich mit den Untiefen des eigenen Lebens auseinanderzusetzen, um gestärkt und gereift daraus hervorzugehen. Wie Phönix aus der Asche.
Dieses Buch liegt schon seit einer Weile bei mir. Aber damals, kurz nachdem ich es erhielt, brach meine Welt, wie ich sie kannte, komplett zusammen, und ich war, überspitzt gesagt, mit meinem eigenen Überleben beschäftigt. Mir war klar, dass dieses Buch Grenzgänger keines ist, das man so nebenbei einmal lesen kann. Dieses Buch mit seiner sehr persönlichen und authentischen Geschichte des Autors benötigt Zeit und Ruhe und wohl auch Respekt. Nun, nachdem mein Leben wieder in gesunden Bahnen verläuft, und ich mich gesammelt habe, bin ich bereit. Also Grenzgänger, erzähl mir deine Geschichte.
Volkskrankheit Depression. Heutzutage zum Glück kein Tabuthema mehr. Depressionen gehören zu den häufigsten Formen psychischer Erkrankungen. Seit Anfang der 1990er-Jahre sind sie noch vor anderen Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus oder koronaren Herzerkrankungen als die gesellschaftlich belastendste Krankheitsgruppe einzuordnen. Psychische Erkrankungen – derzeit die drittwichtigste Ursache für Arbeitsunfähigkeit in Deutschland – entstehen oft bereits in der Jugend, können aber häufig erfolgreich behandelt werden.
Allerdings musste ich auch schon erleben, dass diese Krankheit eine gern genommene Ausrede ist, sich nicht bewegen zu müssen. Und genau das kollidiert regelmäßig mit meiner Lebenseinstellung „Du bekommst das woran du denkst!“ oder auch „Jeder erschafft seine eigene Realität!“ Nicht, dass ich mein Leben perfekt danach ausgerichtet habe und das auch immer so sehe, aber bei anderen kann ich das sehr gut anwenden. Zwangsläufig mangelt es mir hin und wieder an Verständnis und Geduld, wenn Menschen um mich herum auf wahrgenommenes Unrecht pochen. Von daher war ich erstens gespannt, was ich zu lesen bekommen würde, und – was noch interessanter war – würde ich es schaffen, den Autor und das, was er schreibt unvoreingenommen zu beurteilen, oder ihn am Ende vielleicht sogar zu verurteilen.
Wie ich schon vermutet hatte, liest sich dieses Buch nicht zwischendurch, da es inhaltlich und literarisch sehr anspruchsvoll geschrieben ist. Ich musste mich ziemlich konzentrieren, um den komplexen Ausführungen des Autos zu folgen.
Man darf die Vergangenheit nicht vergessen. Wenn man nicht weiß wo man herkommt, weiß man auch nicht, wo man ist, und wenn man nicht weiß, wo man ist, weiß man nicht, wo man hingeht. Tiffany Weh
Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die Vergangenheit nicht immer ein schöner Ort ist, und es erfordert eine Menge Mut, diese noch einmal so intensiv Revue passieren zu lassen. Eckhard Neuhoff nimmt den Leser mit in seine Kindheit und erzählt von dem gespannten, schwierigen Verhältnis zu seiner, wie ich es ausdrücken möchte, narzisstischen Mutter. So begibt er sich auf eine Suche nach Ursachen und deren Auswirkungen auf sein bisheriges Leben. Er schreibt von den negativen Nachwehen, die das Erlebte auf sein Leben und seinen persönlichen Werdegang hatte, und auch noch bis heute hat.
Die Frage ist, ist es geistig gesund sich mit Erlebtem / der Vergangenheit zu beschäftigen und sich bewusst zu erinnern? Sie zu betrachten und sich in gewisser Hinsicht Klarheit darüber zu verschaffen, was passiert ist? Für Eckhard Neuhoff ist es das, und er setzt dadurch seinen inneren Heilungsprozess in Gang.
Auch wenn Eckhard Neuhoff mehrmals betont, nicht als Opfer gesehen werden zu wollen bzw. nicht die Opferrolle auszukleiden, kann ich ihm das bei dem, was er schreibt, und wie er es schreibt nicht ganz abnehmen, denn zum Teil sind seine Ausführungen eher klagend und anklagend. Zum Ende des Buchs kommt er zwar an den Punkt, an dem er von Vergebung gegenüber den „Tätern spricht, ich vermisse aber gerade im Hinblick auf die angestrebte innere Heilung, dass er sich in erster Linie sich selber vergibt.
Ich persönlich würde mir die Aufmachung bzw. das Cover des Buchs positiver wünschen. Auch wenn der Autor sich damit höchstwahrscheinlich persönlich ausdrücken wollte, auf mich wirkt es sehr düster und bedrückend. Ich habe mich gefragt, ob ich dieses Buch im Buchladen überhaupt wahrnehmen würde, und selbst wenn, würde ich es kaufen? Lädt das Buch mich dazu ein, gelesen zu werden? Wenn dieses Buch nur geschrieben wurde, um den persönlichen Heilungsprozess in Gang zu setzen, dann ist es gut so wie es ist. Wenn es aber geschrieben wurde, um von vielen Menschen gelesen zu werden, sollte der Autor, der sich dann zwar vielleicht in seiner Individualität beschnitten fühlt, diese zumindest in dieser Hinsicht zurückstellen, und den Leser visuell dazu einladen das Buch zu lesen. Ich meine nicht pastellfarben und Glitzer, aber da sprechen 15 Jahre Werbebranche aus mir.
Mein Fazit, und ich hatte das die ganze Zeit im Kopf während ich las:
„Man kann nicht sagen: „Wenn das nicht geschehen wäre, dann hätte sich das ereignet“, weil man die jeweilige Alternative überhaupt nicht kennt. Man denkt vielleicht, dass etwas gut geworden wäre, aber es könnte sich auch als etwas schreckliches herausstellen. Wer „Wenn ich nur …“ sagen würde, ahnt gar nicht was er sich damit wünscht. Es gibt keine Gewissheit. Die Vergangenheit ist vergangen. Man kann nichts an ihr ändern und muss sie akzeptieren. Von einer sehr klugen Oma Wetterwachs
Insgesamt
- Ich gebe: - 9/109/10
- AHA Effekt: - 10/1010/10